Der “Zither Reinhold” oder aber Reinhold Lohse, kam als drittes von elf Kindern des Gürtlers Herrmann Lohse und seiner Frau Rosina Franziska, der Tochter eines Buchbinders, zur Welt. Die Familie hatte es nicht leicht und die Lohses verloren 5 ihrer 11 Kinder. Reinhold war ein aufgeweckter-, wissbegieriger Junge, dem schon frühzeitig ein musikalisches Interesse, durch seine Mitgliedschaft im Stadtsingechor nachgesagt wurde. Leider verunglückte der damals neunjährige Reinhold während eines Schulausfluges im Winter 1887. Er brach durch die zu dünne Eisdecke des Passendorfer Kirchteichs und konnte nur mit Mühe von seinem Lehrer unter dem Eis hervorgezogen- und vor dem Ertrinken gerettet werden. Ob die lange Unterkühlung oder das Schlucken des hygienisch bedenklichen Wassers, die Ursache für Reinholds schwere Erkrankung war, lässt sich nicht eindeutig nachweisen. Fakt ist, dass der Neunjährige von seiner Typhuserkrankung körperlich genesen sollte, deren Folgen ihn aber geistig zu lebenslanger Einfältigkeit verurteilte. Seinen Lebensunterhalt bestritt Reinhold anfangs durch einen Leierkasten, mit dem er durch die Straßen seiner Heimatstadt zog. Nachdem ihm sein geliebter Leierkasten von einigen Halbwüchsigen in die Saale (an der Schwemme) geschoben worden war, wurde die Zither sein Lieblingsinstrument und fortan konnten die Hallenser ihn über sein Instrument gebeugt mit einem Zigarrenstummel im Mundwinkel in den Straßen von Halle beobachten. Immer war Reinhold von einer Kinderschar umgeben, die ihn durch die Straßen und Höfe begleitete. Wenn dann seine Zither erklang, schaute Reinhold kindlich zu den Fenstern hinauf. In Zeitungspapier eingewickelte Geldstücke warf man in den Hof oder auf den Fußweg. Flink sammelten die Kinder das Geld auf und warfen es in seinen Hut. War es seine Bescheidenheit, seine Kinderfreundlichkeit, seine naive Reinheit, wer kann es heute noch einschätzen, aber alle Hallenser hatten ihren Reinhold gern. Ungewöhnlich süßer Kaffee soll sein Lieblingsgetränk gewesen sein. Im Mundwinkel zerlutschte er seinen unentbehrlichen Tabakstummel, so haben wir ihn in Erinnerung. Es wird berichtet, dass Reinhold in kältesten Wintern musizierend auf Treppen saß und im Sommer ungeachtet der Jahreszeit die “Stille Nacht” anschlug. Die Zither auf dem Schoss, seine Brille nach vorn gezogen, spielte er seine Lieder und ließ sich durch nichts und niemanden beirren. In den letzten Jahren, als seine Beine nicht mehr so recht wollten, saß Reinhold oft am Kaufhaus Lewin (heute Wöhrl) am Marktplatz. Reinhold war und blieb ein Hallesches Original, welches aus dem Stadtbild nicht wegzudenken war. So saß er gern vorm Damenbekleidungshaus Löwendahl (heute Drogerie Müller) am Kleinschmieden, vor der Bäckerei Pfau (heute Rolltreppe), unter den damaligen Arkaden des alten Ritterkaufhauses, vor Hollenkamp in der Großen Ulrichstraße, am Eselsbrunnen oder vor dem Händeldenkmal. Nachdem er 1957 von einem Fahrradfahrer angefahren wurde, waren viele Hallenser froh, ihn nach längerer Genesungszeit wieder in den Straßen der Innenstadt musizieren zu sehen, doch nach einem zweiten Unfall, im November 1964, wurde nichts wieder Gut für Reinhold. So konnte man in der halleschen Presse lesen “…in den weihnachtlichen Straßen der halleschen Innenstadt wird dieses Jahr ein vertrautes Bild fehlen… “. Der damals 86 jährige erlag am 16. November 1964, in der Chirurgischen Klinik an der Leninallee seinen schweren Verletzungen, welche er sich bei einem Unfall mit einem Autobus zugezogen hatte. Reinhold hatte am 05. November 1964, um 13:15 Uhr einen Fußgängerüberweg am Franckeplatz zum Cafe Hopfgarten überquert, war von einem Autobus angefahren worden und hatte sich einen Schädelbasisbruch zugezogen. Kurz vor diesem Unfall wurde Reinhold noch von seinen Verwandten angehalten, ein paar Tage zu Hause zu bleiben, da er sich sehr schwach fühlte. “Er war wieder ein gefangener Sperling”, sagte seine Nichte, Frau Werner. “Immer wollte er raus, in seine Altstadt.” Sein letzter Spaziergang wurde ihm leider zum Verhängnis. Der Hallesche “Zither Reinhold” wurde am 23. November 1964, auf dem Gertraudenfriedhof zu Grabe getragen. Wie bedeutend er für das Stadtbild Halles war, wird aus den Worten des Grabredners (Pastor Finck) klar, der vor 250 Hallensern und den Halloren in Trauerbekleidung ausführte, dass Halle und Reinhold Lohse so zusammengehörten wie Halle und die Halloren, die Marktkirche und der Rote Turm, oder der Müllerbursche mit seinem Esel. Die Zither Reinhold Lohses wurde ihm auf seinen blumenbeflorten Sarg gelegt, da es ihn auf seinem letzten Weg bekleiden sollte. Als die ersten Erdkrumen ins Grab fielen, gab das alte Instrument seinen letzten Ton von sich, um dann für alle Ewigkeit zu verstummen. Im Jahr 2003 wurde Reinhold Lohse, dessen Liegezeit bereits 1984 abgelaufen war, gemeinsam mit seiner Nichte Erna Werner und deren Mann Friedrich Werner in ein Ehrengrab umgebettet. Auf einem weißen Stein aus Marmor, steht nun Reinholds Geburts- und Sterbetag, nebst einer Abbildung seiner Zither mit den Noten „…uns ist ein Kindlein heut gebor`n…“. Eine schöne Geste der Stadt, einem, wenn nicht dem letzten halleschen Original die letzte Ehre zu erweisen.